Reichspogromnacht
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1938, in der Nacht vom 9. zum 10. November gingen in Deutschland 191 Synagogen in Flammen auf, 76 weitere jüdische Gotteshäuser wurden demoliert, alle jüdischen Geschäfte und Kaufhäuser zerstört und geplündert. 20 000 Juden wurden in Konzentrationslager verschleppt und 36 ermordet.
In der Synagoge wurde Feuer gelegt
"SA-Männer und andere Nazis kamen gegen Mitternacht zur Synagoge. Ein Mann aus der Nachbarschaft holte einen Benzinkanister aus seinem Auto, schüttete Benzin in der Synagoge aus und zündete die zerstörten Bänke und die auf dem Boden liegenden Gebetbücher und Thorarollen an. Karl Hülskamp, der auf dem Nachbargrundstück eine Schreinerei betrieb, ging auf den Mann zu und herrschte ihn mit lauter Stimme an, das Feuer zu löschen. Dann trat er mit den Worten ‘Mak eiy meiy wall dat Für ut!’ den schon schwelenden Brand aus.
Die Nazis drangen in das neben der Synagoge stehende Haus Seif ein. Einer der vor dem Haus stehenden Männer rief laut: ‘Hal mej denn Sally herunder un schlitz em den Buck up, dann gewwe ick eene ut!’ Frau Seif schlug man mit einer aus einer Turnhalle mitgenommenen Holzkeule. Sie erlitt dabei eine über den Kopf verlaufende Wunde. Offiziere aus dem Stadtwaldlager, die zufällig vorbeikamen, brachten Frau Seif mit einem Fahrrad ins Krankenhaus."
(Anna Roloff *1904)

 

Die Kristallnacht war eine schreckliche und einschneidende Erfahrung
"Am nächsten Morgen, nachdem alles in unserem Haus zerstört worden war, fuhren wir zu meiner Mutter nach Münster. Dort fanden wir dasselbe vor: Mein Elternhaus und das der Freunde war zerstört. Die nichtjüdischen Freunde waren sehr ängstlich, kein Hotel nahm uns auf. Deshalb übernachteten wir im Auto, außerhalb der Stadt. Einige Tage später kamen wir nach Bocholt zurück. Mein Mann wurde wie alle jüdischen Männer in Bocholt festgenommen. Unser Glück war, daß alle nach einigen Tagen entlassen wurden und nicht ins Konzentrationslager deportiert wurden."
(Lotte Ostberg)
Es begann kurz vor Mitternacht
"Kurz vor Mitternacht hörten wir vor dem Haus eine Gruppe wilder und alkoholisierter Männer, und bereits wenige Sekunden später klirrten die Fensterscheiben. Gleich darauf wurde die Haustür aufgebrochen, und der braune Mob drängte in die Wohnung. Hier randalierten sie sofort. Das gesamte Porzellan wurde auf den Boden geschmissen, der danach über und über mit Scherben bedeckt war. Die Teppiche wurden zerschnitten. Unsere beiden Kinder hatten sich im Obergeschoß hinter der Schlafzimmertür versteckt, als der Überfall begann. Einige aus der Nazi-Horde rannten auch nach oben. Sie fanden zwar unsere Kinder nicht, verwüsteten aber die Zimmereinrichtungen. Einige der Nazis kamen aus Oberhausen, andere kannte ich aber auch aus Bocholt. Ich möchte sie hier aber nicht namentlich erwähnen. Nach etwa einer halben Stunde verließen die Männer unser Haus. Zwei Arbeiter aus der Fabrik meines Mannes kamen und halfen uns, die gröbsten Schäden zu beseitigen. Einer von ihnen nahm uns mit nach Hause, wo wir übernachten konnten. Mit seiner Hilfsbereitschaft setzte er sich einer großen Gefahr aus. Er bat uns auch, sein Haus möglichst früh am Morgen wieder zu verlassen. Wir empfanden diese Geste als außerordentlich wohltuend in unserer Notsituation und haben dies bis heute nicht vergessen."
(Edith Friede * 1913)
Je älter ich werde, desto öfter denke ich daran ...
"Unsere Familie wohnte 1938 im Kolpinghaus. Durch das Küchenfenster konnte man auf die Rückseite der ca. 30 Meter entfernten Synagoge sehen. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurde ich zwischen 23.00 Uhr und 24.00 Uhr wach und ging in die Küche. Dort stand mein Vater bereits am Küchenfenster. Wir sahen durch die Fenster in der nordlichen Synagogenwand, wie die Deckenleuchter wild hin und her pendelten. Vater weinte und sagte, daß dort Fürchterliches vor sich geht. Das Weinen meines Vaters, der Weltkriegsteilnehmer gewesen war, hat sich unauslöschlich in meine Erinnerung eingebrannt. Je älter ich werde, desto öfter denke ich daran."
(Mann * 1931)
Am Tag nach dem Pogrom ...
"... als ich zur Synagoge kam, stand die Außentür offen. Die Fenster waren eingeworfen. In der Synagoge sah es wüst aus: Auf dem Boden lagen Ziegelsteine. Die Bänke waren zerstört, die Gebetbücher auf den Boden geworfen und teilweise zerrissen worden. Der Vorhang vor dem Thoraschrein war heruntergerissen worden und lag auf dem Boden, ebenso die Thorarollen. Die Treppe zur Frauensynagoge war ausgehangt."
(Herr D. *1923)
Ich war schockiert
"In der ‘großen Pause’ erfuhr ich durch Mitschülerinnen, daß in der Nacht etwas geschehen war. ... Ich war darüber schockiert, daß sich die Klassenkameradinnen, die bei den ‘Jungmädel’ waren, über die vergangene Nacht zustimmend äußerten: ‘Denkzettel für die reichen Juden’ - ‘Die haben genug Geld’.
Am 10. oder 11. November 1938 fand der letzte Martinszug vor dem Kriege statt. Wir waren ganz betroffen, als wir z. B. das Textilhaus Herzfeld sahen: Zersplitterte Scheiben - Textilien - ein Tohuwabohu. Die Verwüstungen in der Synagoge wollte ich nicht sehen, denn ich fand schrecklich, was dort geschehen war."
(Frau K., *1926)
Ich schämte mich
"Mitschüler, die in der Innenstadt wohnten, berichteten über die Zerstörungen jüdischer Geschäfte und der Synagoge. Es wurde nur leise daruber gesprochen. Unter uns herrschte eine seltsam-gedrückte Stimmung.
Keiner triumphierte über das Geschehen. Nach Schulschluß fuhr ich allein durch die Nordstraße bis zum Geschäft Herzfeld. Die Schaufensterscheiben waren eingeworfen.
Kleider und Anzüge lagen wild durcheinandergeworfen.
Ich empfand, daß etwas Schlimmes passiert war und schamte mich."
(Werner Sundermann *1926)
Rhede
"Als der Ortsgruppenleiter noch zögerte, mit den angeordneten ‘Aktionen’ zu beginnen, drängte ihn ein Rheder Parteigenosse ständig und rief: ‘Fang wi noch nich bolde an, fang wi noch nich bolde an?’. Am morgen danach sah man Frau Landau durch die kaputten Fenster ihres Hauses schauen."
(Rheder Bürgerinnen)
              
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Synagogenlandschaften
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