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EIN TAG IM JAHR 1942

Seit dem Frühling 1942 durften jüdische Kinder in den Niederlanden nicht länger öffentliche Schulen besuchen. Wir mußten jeden Tag von Dinxperlo in die Stadt Doetinchem, etwa 25 Kilometer entfernt, zur jüdischen Schule, die dort für die ganze Region eingerichtet war, fahren.

Ich werde nie eine dieser Fahrten im frühen Herbst 1942 vergessen. Jede Fahrt war irgendwie spannend. Weil in den Niederlanden kein Benzin um Fahrzeuge anzutreiben erhältlich war, waren auf der Rückseite der Autobusse Holzöfen installiert. Der Rauch und die Gase vom brennenden Holz ließen den Bus schon laufen, doch es gab immer eine Menge Probleme.

An diesem besonderen Tag kam ich an der Haltestelle an und was dann passierte, war so merkwürdig, daß es fast unglaubwürdig war. Ich stieg in den Autobus und hinten saßen Maurits Prins, seine Frau Bertha und ihre drei Kinder, Philip, Carolina und Janny, jede mit einem Polizisten neben sich. Offensichtlich war die Villa De Pol, wo die Familie Prins wohnte, im Morgengrauen von der Gestapo und der Grünen Polizei heimgesucht worden. Sie hatten ihr Haus augenblicklich verlassen müssen, hatten nichts mitnehmen oder etwa sich waschen und ordentlich anziehen dürfen. Trotzdem entschloß die Polizei sich, sie mit dem örtlichen Autobus nach Doetinchem zu bringen. Die Fahrt dauerte mindestens eine Stunde, denn es gab viele Haltestellen und der Bus fuhr sowieso sehr langsam.
Es gelang mir, mich direkt der Janny gegenüber hinzusetzen. Ich kannte die Familie Prins gut, weil die Villa De Pol gegenüber dem Haus meines Onkels stand. Ich war mit Janny, die einige Jahre älter war als ich, befreundet. Ich erinnere mich daran, daß ich während der ganzen Fahrt mit ihr sprach. Sie versicherte mir immer wieder, daß das Ganze nur ein großer Irrtum war und daß sie und ihre Familie bald zurückkehren würden, wenn alles in Ordnung gebracht wäre. Der Polizist, der neben ihr saß, sagte die ganze Zeit kein Wort, Janny aber beklagte sich darüber, sie habe sich nicht einmal das Gesicht waschen und etwas "Make-up" anbringen können.
Bei der Ankunft in Doetinchem stiegen sie nach uns aus dem Bus und ich sah, wie sie langsam zum Polizeiamt gingen. Ich sagte Janny auf Wiedersehen und daß ich hoffe sie am Abend oder am nächsten Tag in Dinxperlo wiederzusehen. Doch ich sah sie nie wieder. Wenige Tage später kamen Arbeiter zur Villa De Pol, um für die Familie, die in dem Moment in Westerbork war, einige Bekleidung einzupacken.

Mehr als fünfzig Jahre habe ich mich gefragt, ob meine Erinnerung an dieses Ereignis stimmt und ob es wirklich so ablief. Gewöhnlich kam die Polizei zu jüdischen Häusern oder Wohnungen um die Juden mit Lastkraftwagen zu einem Sammelpunkt zu bringen und sie dann, wenn der Transport groß genug war, mit dem Zug meistens nach Westerbork zu schicken.

Am gleichen Tag wurde auch die Familie Leopold Prins, der ebenfalls in Dinxperlo lebte und ein Cousin von Maurits war, verhaftet. Sie wurden über die Grenze nach Deutschland zur Befragung mitgenommen, bevor sie nach Westerbork und später nach Auschwitz geschickt wurden.

Die beiden Familien Prins waren prominent und hatten einen guten Ruf in Dinxperlo und Umgebung. Sie waren sehr reich und lebten in schönen großen Häusern. Sie beschäftigten sich mit vielen Dingen. Die Villa De Pol hatte einen sehr großen Garten, wo die älteren Jungen aus dem Dorf fast jeden Tag eine kräftige Partie Fußball spielten mit Maurits Prins, der selber ein guter Fußballspieler war.

Augenscheinlich hatten die Familien Prins vor sich zu verstecken, hat aber irgendeiner im Dorf, den sie vertrauten, sie verraten.

De Ereignisse jenes Tages werden immer bei mir bleiben, insbesondere die Tatsache, daß ich der Janny gegenüber saß, während sie versuchte mich und wahrscheinlich auch sich selber zu beruhigen, alles käme gut und ich könne sie am Abend oder am nächsten Tag wiedersehen.
Es ist immer noch ein Rätsel für mich, warum die Familie Prins diese besondere Art der Folter erleiden mußte, in einem normalen Bus mit normalen Passagieren in ihr Verderben zu reisen.

Janny, ihre Schwester Carolina und ihre Mutter Bertha wurden am 26. Oktober 1942 in Auschwitz ermordet. Maurits starb in Neukirch am 30. Juni 1943. Sein Sohn Philip starb in Ludwigsdorf am 1. Januar 1944.

Fred Spiegel (USA)

Kamp Vught
Kamp Westerbork

Kriegserfahrungen:
Der Abend des Jom Kippur 1942
Allierte Luftangriffe
Ein Tag in Vught 
Noch mal Vught
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