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EIN TAG IN VUGHT

Wir kamen Anfang April 1943 in Vught an. Einige Tage zuvor waren wir gezwungen worden unser Haus in Dinxperlo zu verlassen. Ich war damals fast 11 Jahre und zusammen mit meiner Schwester Edith, meinem Onkel Max, Tante Paula, Cousin Alfred und Cousine Ruth. Wir realisierten uns kaum was auf uns zukam.
Bei der Ankunft wurden wir sofort voneinander getrennt. Ich war zusammen mit Alfred in einer Baracke für Jungen. Die Übrigen waren in anderen Baracken , Männer und Frauen in getrennten Teilen des Lagers.

Vught war ein Zwangsarbeiterlager in der Nähe der Philipswerke, die die Deutschen als vital für ihre Kriegsanstrengungen betrachteten. Neben der Juden gab es noch andere Gefangene in Vught, die meisten von ihnen Männer. Manche trugen ein rotes Dreieck an ihrer Kleidung, was bedeutete, dass sie aktiv im Widerstand gewesen waren. Die Deutschen hielten jeden, der im Widerstand aktiv war, für einen Kommunisten; daher das rote Dreieck. Manche Gefangene trugen ein schwarzes Dreieck. Dies bedeutete, dass sie wegen Handel auf dem "schwarzen Markt" verhaftet worden waren. Wir Juden trugen unseren Judenstern.

Jeden morgen war Appell. Manche Gefangene, meistens Mitglieder im Widerstand, versuchten zu entkommen. Wenn sie aufgegriffen wurden, wurden sie exekutiert, indem sie gehängt wurden oder erschossen von einem Erschiessungskommando. Manchmal wurden sie grausam geschlagen. Dies war unsere Einführung in ein Konzentrationslager. Es war fürchterlich, insbesondere für uns Kinder.
Es gab viele Kinder in Vught, alle jüdisch, und die Bewacher wussten nicht recht was sie mit uns anfangen sollten, denn wir waren für die Arbeit in den Fabriken zu jung.

An einem Morgen, ungefähr drei Wochen nach unserer Ankunft, gab es einen grösseren Schrecken als sonst. Beim Appell wurde uns gesagt, wir würden an diesem Tag "entlaust" und desinfiziert, weil wir nach Meinung der Deutschen schmutzig waren und von Läusen bedeckt. Wir mussten alle unsere Kleider in eine Baracke bringen, die dann versiegelt würde, wonach die Kleider dezinfiziert würden. Wir mussten uns ausziehen und auch die Kleider die wir trugen wurden in diese Baracke gelegt. Dann mussten wir nackt zur Dusche laufen, die ein ganzes Stück weit weg war; es war kalt draussen. Nach dem Duschen mussten wir zu einer einer anderen Baracke laufen, weiter als dahin, wohin man sagte, dass unsere Kleidung hingebracht worden sei, aus irgendeinem unbekannten Grunde.

Ich hatte nicht bemerkt, dass die Mädchen, die sich alle zusammen in einer Baracke aufhielten, ebenfalls gezwungen worden waren sich auszuziehen, unter dem wachenden Auge der deutschen Bewacher. Plotzlich, als wir zur Baracke gingen um unsere Kleidung abzuholen, sahen wir eine Gruppe nackter Madchen auf uns zu rennen. Sie weinten, während sie von den Bewachern verfolgt wurden. Sie kamen an uns vorbei und waren in Verlegenheit als sie uns sahen und sie versuchten wegzuschauen. Ich sah , dass die meisten von ihnen weinten und viele Mädchen schienen rote Stellen am ganzen Körper zu haben. Plötzlich stand eins der Madchen still und rief meinen Namen. Sie weinte und als ich auf sie schaute, sah ich, dass es Jetty Menist war, die zusammen mit ihrem älteren Bruder Isaac gute Freunde von mir aus Dinxperlo waren. Sie streckte ihre Arme in die Luft und sagte "Schau auf mich, schau doch auf mich, schau was die Bestien mit mir getan haben." Ich sah, dass ihr Körper ganz rot war mit Wunden und Blut um ihren Unterbauch. Dies alles geschah in wenigen Sekunden, mir aber erschien es eine Ewigkeit

Offensichtlich hatten die deutschen Bewacher sich über die jungen Mädchen hergemacht und hatten sie viele von ihnen, die alle im Alter zwischen sechs und vierzehn 14 Jahren waren, missbraucht. Ich sah Jetty an jenem Abend wieder, aus der Entfernung, denn es war uns nicht erlaubt in die Nähe der Mädchenbaracken zu kommen. Sie sass bei den anderen Mädchen und ass von dem wenigen Essen, das man bekam. Sie war angezogen und schien ruhig. Sie sah mich nicht.

Ich habe sie danach nie wieder gesehen. Weil wir gute Freunde gewesen waren, sind dieses Ereignis und die Angst in ihrem Gesicht immer bei mir geblieben. Auch habe ich mich immer wieder gefragt: Warum rief sie meinen Namen und nicht den ihres Bruders Isaac?

Am 6. und 7. Juni 1943 wurden alle Kinder aus Vught nach Westerbork transportiert zusammen mit ihrer Familie. Den Berichten nach wurden sie am nächsten Tag, dem 8. Juni, bis auf wenige Ausnahmen, ins Todeslager Sobibor deportiert. Ich wurde im letzten Augenblick aus dem Zug geholt und bin einer der wenigen Überlebenden und vielleicht sogar der einzige der Kinder, der überlebt hat. Jetty war mit ihrer Familie in diesem Transport. Sie wurden alle sofort nach ihrer Ankunft in Sobibor am 11. Juni 1943 vergast. Jetty war da erst neuneinhalb Jahre alt.

Für mich ist dieses Ereignis nie wirklich "abgeschlossen". Es ist immer bei mir geblieben. Ich verstand in jener Zeit nicht richtig was Jetty mir zu sagen versuchte. Erst Jahre später begann ich zu realisieren was mit ihr und vielen der anderen jungen Mädchen an jenem Tag in Vught geschah.

Fred Spiegel (USA)

Kamp Vught
Kamp Westerbork

Kriegserfahrungen:
Der Abend des Jom Kippur 1942
Allierte Luftangriffe
Ein Tag im Jahr 1942 
Noch mal Vught
Nachschrift

     
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