Aus der Presse


28.01.2008

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EIN STOLPERSTEIN FÜR DIE GROßMAMA
(von Renate Witteler)

Der 83-jährige Dr. Henry John Goldsmith hat als Siebenjähriger glückliche Tage bei seiner Oma Minna Löwenstein in Bocholt verbracht. Sie ist die einzige der Familie, die auf der Flucht eines natürlichen Todes starb. Die übrigen Löwensteins, an die nun Stolpersteine erinnern, wurden ermordet.

Dr. Henry John Goldsmith (83), früher Leiter der Universitäts-Klinik Liverpool, schaut auf das alte Haus mit der Nummer 11 am Hemdener Weg. “Hier, bei meiner Großmutter und zwei Onkeln, habe ich 1932 bis 33 gelebt”, sagt er und blickt auf die sieben “Stolpersteine”, die der Künstler Gunter Demnig gerade vor dem Haus verlegt. Glücklich sei er damals gewesen, ein glücklicher Junge im Alter von sieben/acht Jahre mit dem Namen Hans, sagt Goldsmith. Das “H“ seines alten Namens habe er behalten wollen, deshalb habe er später den Namen Henry gewählt. Engländer ist er nun, weil Hitler Juden verfolgen und ermorden ließ.

“Sind die Stolpersteine schon mal verschandelt worden?”, fragt er Demnig, der bereits über 14000 solcher Steine vor ehemalige Wohnstätten von Juden und anderen Nazi-Opfern in rund 300 Städten verlegt hat — zur Erinnerung und Mahnung. “Ja, damit muss man rechnen”, antwortet der Künstler, der bereits zum zweiten Mal in Bocholt ist. “Hoffentlich hier nicht”, sagt Goldsmith.

Der Name seiner Großmutter Minna (Wilhelmine) Löwenstein steht auf einem der mit Messingplatten versehenen Steine. Sie ist die einzige der sieben auf den Steinen erwähnten Löwensteins, die nicht ermordet wurde. “Sie starb an Krebs, einsam und vollkommen alleine im Versteck in Holland”, sagt Goldsmith, der für die Stolperstein-Aktion extra mit seinem Sohn aus Liverpool anreiste. “Ich kann mich noch daran erinnern, wie sie für mich Ostereier im Garten versteckte.” Obwohl Ostern ein christliches Fest sei. Ja, er habe seine Großmutter sehr geliebt.

An die jüdische Schule, die er in Bocholt besuchte, habe er auch noch Erinnerungen. “Einmal hat mir der Lehrer mit dem Lineal auf die Hände geschlagen, weil sie dreckig waren.” Von der Diskriminierung und Verfolgung der Juden habe er damals noch nicht viel mitbekommen. “Nur ein Mal, auf dem Weg zur Schule. Da haben mich fünf oder sechs Kinder festgehalten und mir das Gesicht mit Rotze verschmiert”, berichtet Goldsmith. Und an Hitlers Stimme und seine hasserfüllten Worte im Radio könne er sich erinnern. “Da haben wir Angst gekriegt.” Nach der Ermordung seines Stiefvaters 1933 in Düsseldorf sei seine Mutter mit ihm nach Amsterdam geflohen. In England sei er schließlich gelandet, weil seine Mutter dort 1937 die Erlaubnis erhielt, als Zahnärztin zu praktizieren.

Mit alten Deutschen spreche er nicht, weil er nicht wisse, was sie in der Nazi-Zeit gemacht hätten, sagt Goldsmith. Nur mit Jüngeren unterhalte er sich. “Wir sind jetzt zwei Generationen weiter. Da muss man einen Schlussstrich ziehen.” Die von Schülern des Georgs-Gymnasiums unterstützte Stolpersteinaktion finde er gut.

22 Steine hat Demnig gestern vor sechs Bocholter Häusern verlegt — darunter Steine für Regina und Salomon Seif, weshalb deren Großneffe Benno Simoni aus Berlin anreiste, sowie Steine für Aurelia Landau und Ruth Lorch. Dazu kam der Bocholter Günter Lorch, Sohn des einzigen Juden, der nach der Befreiung aus dem Konzentrationslager nach Bocholt zurückkehrte.